Erfahrungsbericht zur atmosphärischen Wirkung des Hundes
Hund Harri darf mich seit insgesamt sechs Jahren zur Arbeit ins Büro begleiten. Harri ist ein Wäller. Diese Hunderasse zeichnet sich durch ein ausgeglichenes, geduldiges und folgsames Wesen aus. Harri verfügt über keine spezialisierte Ausbildung zum Therapiehund, da er später im Rahmen der tiergestützten Arbeit als begleitender/unterstützender Hund eingesetzt werden soll. Harri ist bereits seit dem Junghundealter an die Arbeit mit verschiedenen Menschen gewöhnt. Anfangs war er punktuell dabei, um vorsichtig anzutasten wie sich ein Hund im Büro auf die Klientinnen und Klienten auswirkt. Schnell wurde klar, dass der Hund von den Klientinnen und Klienten gerne gesehen wurde. Die meisten Klientinnen und Klienten freuten sich, viele brachten dem Hund Leckerlies mit. War der Hund nicht dabei, wurde ich sofort gefragt, ob es ihm gut geht und er das nächste Mal wieder dabei sein wird.
Während der Arbeit und den Gesprächen mit den Klientinnen und Klienten konnte ich feststellen, dass der Hund oftmals als Gesprächsöffner fungierte und die Kommunikationsfähigkeit förderte. Teils waren Klientinnen und Klienten nicht in der Lage mich beim Gespräch anzusehen. Diese Klientinnen und Klienten wählten häufig den Weg über den Hund. Sie begannen zu erzählen, schauten hierbei jedoch den Hund an, da sie dessen Blick standhalten konnten und für sie dadurch keine konfrontative Gesprächssituation entstand. Ebenso diente der Hund als Ventil, wenn es darum ging über unangenehme oder belastende Dinge zu sprechen. Ich konnte beobachten, dass vor Beginn oder während eines als unangenehm empfundenen Gesprächs durch manche Klienteninnen und Klienten aktiv der Kontakt zum Hund aufgenommen wurde um diesen dann während des Gesprächs zu streicheln oder als Ablenkung zu nutzen, wenn eine Gesprächsunterbrechung benötigt wurde. Es entstand der Eindruck, dass durch das Streicheln des Hundes die eigene Aufregung reduziert werden konnte. Auch konnte ich beobachten, dass Klientinnen und Klienten die in emotional aufgebrachter Stimmung waren, durch den Hund schneller wieder zur Ruhe gebracht werden konnten. Zuweilen wunderten sich Klientinnen und Klienten, dass der Hund ruhig neben ihnen liegen blieb, obwohl sie in ihrer Stimme oder ihrem Verhalten laut und aufgeregt waren. Was wiederum die Möglichkeit bot, das eigene Verhalten zu reflektieren. Durch den Hund konnte die eigene Wahrnehmung für Emotionen verstärkt werden. Wurde beispielsweise Traurigkeit empfunden, konnte es sein, dass der Hund seinen Kopf auf den Schoß der Klientin oder des Klienten legte und dies als Zeichen des Trostes empfunden wurde. Bei stark unsicheren und/oder selbstzweifelnden Klientinnen und Klienten kam es häufig vor, dass diese den vorsichtigen, unvoreingenommenen Annäherungsversuch des Hundes nicht richtig zu deuten wussten. Manche fragten mich dann, ob es sein könne, dass der Hund sie möge und weshalb er sie möge. Hierauf aufbauend konnte andererseits der Umgang mit Wertschätzung, Vertrauen, die eigene Empathiefähigkeit, aber auch das Verhalten im Umgang mit anderen Menschen thematisiert werden.
Auch war interessant zu beobachten, dass einige Klientinnen und Klienten den Hund in Schutz nahmen, wenn dieser auf ein Kommando nicht reagierte, um ihn vor eventuellem Ärger zu bewahren. In solchen Situationen konnte sehr schön der Umgang mit Regeln, Geboten und Freiheiten besprochen werden, was in einem weiteren Schritt häufig zur Auseinandersetzung mit dem eigenen straffälligen Verhalten führte.
Bei manchen Klientinnen und Klienten habe ich die Gespräche bei einem Spaziergang mit dem Hund geführt. Einige beschrieben danach, dass sie das Gefühl von Natur erleben/ beobachten und Bewegung gar nicht mehr gekannt hätten und sie dadurch wieder etwas mehr Antrieb verspüren würden. Beim Wahrnehmen der Natur entwickelte sich bei machen innerhalb kürzester Zeit ein Gefühl von Begeisterung für die kleinen Dinge, wie beispielsweise das Erschnuppern des Dufts vom blühenden Flieder. Manche zeigten sich hiervon so motiviert, dass sie um weitere Spaziergänge mit dem Hund baten, auch wurde der Wunsch geäußert eine Wanderung zu organisieren. Weiter fiel mir auf, dass Klientinnen und Klienten während eines Spaziergangs mit dem Hund sehr viel offener und intensiver über ihre persönliche Situation sprechen konnten. Einige übernahmen auch Verantwortung für den Hund. Sie sahen sich immer wieder um, ob jemand kommt und riefen den Hund dann zu sich. Diese Verantwortungsübernahme konnte bei Bedarf als Thema aufgegriffen werden und auf andere Lebensbereiche übertragen werden.
Neben der Verantwortungsübernahme konnte der Hund auch für das Aufzeigen von Grenzen und Distanzwahrung genutzt werden. So achte ich stets darauf, dass für den Hund keine Überforderungssituation entsteht und er die Möglichkeit hat, sich zu jeder Zeit auf seinen Ruheplatz zurückzuziehen.
Ebenso konnte ich feststellen, dass Klientinnen und Klienten, welche sich Gedanken über die Anschaffung eines Tieres machten, bei mir anriefen und nachfragten ob sie geeignet wären ein Tier zu halten und was sie beachten müssten. Hier konnten dann gemeinsam Punkte die dafür und dagegen sprachen gesammelt werden. Was im Idealfall dazu führte, dass sich die Klientinnen und Klienten vor der Anschaffung eines Tieres ausreichend Gedanken machten, um dann eine Entscheidung zu treffen, ob unter den gegebenen Umständen eine artgerechte Haltung umsetzbar ist.
Durch die Zusammenarbeit mit dem Hund entstand bei mir der Eindruck, dass der in der Bewährungshilfe vorhandene Zwangskontext etwas aufgelockert werden konnte, sich die Gesprächsatmosphäre entspannte und intensivere Gespräche entstehen konnten. Durch die Anwesenheit des Hundes haben sich oftmals Gesprächsthemen entwickelt, die einen unkomplizierten Zugang zu den unterschiedlichen Problemlagen der Klientinnen und Klienten eröffneten. Darüber hinaus konnte der Hund für Klientinnen und Klienten im Gespräch ein Gefühl der Sicherheit bieten, indem er sich zu diesen, an deren Seite setzte. Zeitgleich bietet der Hund aber auch ein Sicherheitsgefühl für mich, da er impulsive Situationen richtig einschätzen kann und mir durch bestimmte Signale zu verstehen gibt, ob eine Situation gefährlich werden könnte.
Meine bisherige Erfahrung mit dem Hund bei der Arbeit hat mir gezeigt, dass alleine schon durch die bloße Anwesenheit des Hundes und dessen Verhalten ein erleichterter Zugang in die Zusammenarbeit mit den Klientinnen und Klienten gefunden werden kann, neue Impulse angestoßen werden können und zugleich ein respektvoller Umgang vermittelt werden kann, da der Hund durch seine Verhaltensweisen akzeptierend und unaufdringlich signalisieren kann, dass eventuelle Grenzen überschritten werden.
Die Entstehung des Projekts
Im Jahr 2020 wurde durch die BGBW die Möglichkeit eröffnet, dass sich Mitarbeitende durch eigene Projekte an der Mitgestaltung
der Unternehmensangebote beteiligen können.
Sina Walter setzte sich bereits während ihres Studiums und in ihrer Bachelorarbeit mit der tiergestützten Arbeit auseinander und
formte schon hier die Vision, diese Methode bei ihrer späteren Tätigkeit als Bewährungshelferin anzuwenden. Stephanie Ginter
brachte zu dieser Zeit ihren Hund bereits seit mehreren Jahren mit zur Arbeit und erkannte, dass allein schon die bloße Anwesenheit
eines Hundes positive Effekte in der Zusammenarbeit mit Klientinnen und Klienten erzielen konnten. Diese Erkenntnisse und das Angebot
unseres Arbeitgebers ließen uns dann als Projektpartnerinnen zusammenfinden. Inspiriert durch die Bachelorarbeit von Sina Walter bekam
unser Projekt den Namen „Resozialisierungshelfer auf vier Pfoten“. Ziel unseres Projektes ist es eine neue Methode im
Arbeitsfeld der Bewährungshilfe zu etablieren, bei der durch den professionellen Einsatz eines Hundes die pro-sozialen
Fähigkeiten und Ressourcen der Klientinnen und Klienten gefördert werden.
Nachdem wir uns als Projektpartnerinnen zusammengefunden hatten, begannen wir in Rücksprache mit unserem Arbeitgeber die ersten Grundlagen für unser Projekt zu planen. Der Beginn des Projekts gestaltete sich nicht ganz einfach. Nach einem etwas holprigen Start, gelang es uns, unter Berücksichtigung der bürokratischen Hürden, die Voraussetzungen für einen Hund im Büro zu schaffen. Wir erarbeiteten eine Konzeption (die den Projektphasen entsprechend weiterentwickelt und angepasst wird) und erstellten einen Hygieneplan, welcher vom Amtsarzt abgesegnet wurde und die Grundlage für die Anwesenheit eines Hundes am Arbeitsplatz bildeten. Nachdem die basisbildenden Voraussetzungen von uns geschaffen wurden und wir noch weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter für die Auswertung unseres Projekts gewinnen konnten, gingen wir in die 1. Projektphase über.
In der ersten Phase unseres Projekts untersuchten wir anhand speziell entwickelter Fragebögen über einen Zeitraum von sechs
Monaten die sogenannte atmosphärische Wirkung des Hundes. Dabei begleitete der Hund uns im Arbeitsalltag. Die Auswertung der
Fragebögen ergab, dass allein schon die Anwesenheit eines Hundes die Zusammenarbeit mit den Klientinnen und Klienten positiv
beeinflussen konnte. Es zeigten sich beispielsweise Resultate einer aufgelockerten Gesprächsatmosphäre, was wiederum einen
erleichterten Einstieg in zu besprechende und bewährungsrelevante Themen bot. Auch konnte festgestellt werden, dass das Zugegensein
des Hundes Einfluss auf die Emotionsregulation der Klientinnen und Klienten nehmen konnte, beispielsweise durch das Streicheln des Hundes
oder auch nur durch Blickkontaktaufnahme zu diesem. Weiter zeigte sich im Beobachtungszeitraum, dass über den Hund ein guter Einstieg
in Gespräche gefunden werden konnte, die Themen wie Regeleinhaltungen und Verantwortungsübernahme zum Gegenstand hatten. Darauf
aufbauend konnte ein guter Übergang zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten und der Straffälligkeit gefunden
werden.
Ein kleiner
Überblick zur atmosphärischen Wirkung des Hundes bietet der Erfahrungsbericht von Stephanie Ginter.
Im Mai 2022 starteten wir die 2. Projektphase. Hier ging es über die bloße Anwesenheit des Hundes hinaus. Durch gezielte
Übungen mit dem Hund sollten die Klientinnen und Klienten angeregt werden, ihre Verhaltensweisen zu reflektieren und
weiterzuentwickeln. Damit neue Sichtweisen entstehen können und schrittweise in den eigenen Alltag integriert werden, mit dem Ziel
weitere Perspektiven für eine erfolgreiche Resozialisierung zu erarbeiten. Bei der Auswahl der am Projekt teilnehmenden Klientinnen
und Klienten wurde von uns der Fokus auf Personen gelegt, welche Defizite in der Emotionsregulation aufwiesen. Charakteristisch
hierfür waren Menschen mit Suchterkrankungen oder einer psychischen Erkrankung aber auch Menschen mit Gewaltstraftaten. Weshalb wir
uns für Klientinnen und Klienten mit Auffälligkeiten in diesen Bereichen entschieden. Pro Projektteilnehmerin oder
Projektteilnehmer wurden zwei Klientinnen oder Klienten ausgewählt, die über einen Zeitraum von ebenfalls sechs Monaten
unterschiedliche Übungen mit dem Hund ausführen und diese anschließend besprechen. Die Auswertung fand durch eigens
erarbeitete Fragebögen statt, welche nach jeder Übungseinheit sowohl durch die Klientin oder den Klienten als auch von den
projektteilnehmenden Bewährungshelferinnen oder Bewährungshelfer ausgefüllt wurden. Mittlerweile ist die zweite Projektphase
abgeschlossen. Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass einige Klientinnen und Klienten einen sehr guten Zugang zu den Hunden gefunden haben.
Durch die Übungseinheiten mit dem Hund konnten Klientinnen und Klienten auf unterschiedlichen Ebenen angesprochen werden, neue
Betrachtungsweisen ihrer Situation entwickeln und zu einer Auseinandersetzung mit ihrem Verhalten und ihrer Persönlichkeit angeregt
werden. Aus diesem Grund sehen wir in der Tiergestützte Intervention weiterhin eine Methode, die in der Arbeit der
Bewährungshilfe einen Baustein für den Weg in eine erfolgreiche Resozialisierung darstellen kann.
Da uns im Projekt eine professionelle und qualifizierte Umsetzung von Beginn an wichtig war, hat Sina Walter parallel mit der Weiterbildung
zur Fachkraft für tiergestützte Interventionen begonnen und diese zwischenzeitlich erfolgreich abgeschlossen. Zudem möchten
wir unser Wissen auch weiterhin durch die Teilnahme an Fortbildungen, Fachtagungen und Arbeitskreisen erweitern.
Es gibt mittlerweile viele wissenschaftliche Studien die belegen, dass der Einsatz von Tieren die Zusammenarbeit mit Menschen positiv beeinflussen und Menschen auf verschiedenen Ebenen (kognitiv, körperlich, emotional) ansprechen kann. Insbesondere im sozialen Bereich ist zu beobachten, dass der professionelle Einsatz von Tieren an Bedeutung gewinnt. Die bisherigen Erfahrungen unseres Projekts haben uns gezeigt, dass die hundegestützte Intervention gerade auch in der Arbeit mit straffälligen Menschen neue Ansätze bieten kann. Wir wünschen uns deshalb, dass das Projekt „Resozialisierungshelfer auf vier Pfoten“ als professionelle und standardisierte Methode bei der Bewährungshilfe implementiert wird.
Sie haben Fragen zum Projekt?
Wir, als Projektverantwortliche, beantworten sie gerne.
Bachelorthesis:
Auswirkungen
hundegestützter Therapie